Linkshänder Klavier
Leipzig . Komponisten und Pianisten wie Ludwig van Beethoven oder Carl Philipp Emanuel Bach hätten sich zu Lebzeiten über dieses Instrument vermutlich gefreut: ein Klavier speziell für Linkshänder. Die Leipziger Pianofortefabrik Julius Blüthner baut erstmals solch ein Klavier und schließt damit eine kleine Lücke auf dem Markt. Der wesentliche Unterschied zu anderen Instrumenten wie Geigen oder Gitarren ist der Aufwand, der für eine derartige Entwicklung nötig ist. Der weltberühmte Gitarrist Jimi Hendrix etwa zog als Linkshänder die Saiten seines Rechtshänderinstruments einfach umgekehrt gereiht auf, bei einem Klavier geht das nicht.
«Wir mussten ein vollkommen neues Modell entwickeln», sagt Geschäftsführer Christian Blüthner-Haessler. So musste ein spezieller Gusseisenrahmen entwickelt und hergestellt werden, mussten die Klaviatur und die Mechanik den Besonderheiten des Linkshänderinstrumentes angepasst und die Saitenbespannung umgekehrt werden.
Blüthner-Haessler, der vor seinem Eintritt in das Familienunternehmen Medizin studiert und als Arzt gearbeitet hat, kennt aus medizinischer Sicht die Probleme, die Linkshänder haben. Bei ihnen ist die rechte Hand in Mobilität und Sensorik eingeschränkt, wobei die Dominanz der linken Hand unterschiedlich stark ausgeprägt ist. «Bei einer relativ leichten Dominanz der linken Hand können Musiker relativ einfach auf Rechtshänderinstrumente zurückgreifen und haben damit keine Schwierigkeiten», erklärt Blüthner-Haessler.
Es gibt nach seinen Worten aber unter den Linkshändern auch rund zehn Prozent, bei denen sich die Linkshändigkeit zu einem echten Handicap entwickelt, wenn sie so einen Versuch starten. Sie geben dann in der Regel frustriert auf.
Nicht so Geza Loso: Der in Ungarn geborene Pianist wollte sich nicht damit zufriedengeben, dass es für ihn als Linkshänder keine angepassten Instrumente gab. Loso hatte bereits gute Erfahrungen mit Blüthner gemacht: «Wir haben für ihn vor einigen Jahren bereits einen Flügel für Linkshänder gebaut», berichtet Blüthner-Haessler. Und beim Flügel gilt wie beim Klavier: Für Rechtshänder werden mit der linken Hand die Basstöne gespielt, während die rechte Hand die hohen Lagen spielt. Die motorischen Anforderungen sind an diese Hand höher, weil sie die virtuosen Läufe und Melodien zu spielen hat. «Wenn aber die linke Hand die dominante ist, sollte natürlich der anspruchsvollere Part auch von ihr übernommen werden», erklärt der Geschäftsführer.
Die Sensibilität für die Belange der Linkshänder ist beim Unternehmen Blüthner familiär bedingt: «Mein Vater und mein Bruder sind beide Linkshänder», verrät Blüthner-Haessler. Beide spielen jedoch auf konventionellen Instrumenten. Er selbst, ein Rechtshänder, hat sich einmal an einem Linkshänder-Flügel probiert: «Bei einem Stück, das ich normalerweise in der Nacht ohne nachzudenken rückwärts spielen kann, bin ich über den ersten Takt nicht hinausgekommen.»
Dass es für das Linkshänderklavier auf dem Markt nicht mehr als eine kleine Nische gibt, weiß man im Hause Blüthner natürlich auch. «Da haben wir keine Illusionen», sagt Blüthner-Haessler. Dennoch gehe er davon aus, dass man im Jahr «einige Instrumente» bauen und absetzen könne. Zwischen fünf und sieben Prozent des Marktes seien linkshändig, schätzt er ein.
Selbst wenn nur ein Prozent der Pianisten ein so starkes Bedürfnis verspürte, die virtuosen Läufe mit der linken Hand zu spielen, bedeuteten dies immerhin bis zu 3000 Instrumente für Linkshänder, die der Markt bei einem gesamten Klavier- und Flügelabsatz von rund 325 000 Einheiten weltweit benötigte.
«Aber wenn jetzt zum Beispiel verstärkt Unterricht für Linkshänder auf Linkshänderklavieren angeboten würde, könnten die genannten Zahlen in 20 bis 30 Jahren erreicht werden», sagt Blüthner-Haessler. Eine Klavierschülerin kann sich jedenfalls schon mal darauf freuen, in Zukunft auf ihrem Linkshänderklavier spielen zu können: die Tochter von Geza Loso, für die das weltweit erste Instrument dieser Art gebaut wird.
Andere Nachwuchspianisten werden dagegen vermutlich noch länger warten müssen. Claudia Wenner vom Verband Deutscher Musikschulen sieht die Einführung von Linkshänderklavieren an den Musikschulen nämlich als problematisch an. Durch die Anschaffung solcher Instrumente würden bei diesen zusätzliche Kosten entstehen, die von vielen der öffentlichen Institute kaum zu realisieren sein dürften. Dies gelte um so mehr, wenn es sich um kleinere Musikschulen handele.